04. Jun. 2012
Kugelhaufenreaktor in Jülich: Den Vertuschungsversuchen der Betreiber auf der Spur!
Von Horst Blume
Am 15. Mai 2012 wandten sich Rainer Moormann und der Journalist Jürgen Streich an Christian Küppers, den Vorsitzenden der Untersuchungskommission, die sich mit der Störfallgeschichte und dem bisher unaufgearbeiteten radioaktiven Wassereinbruch beim AVR im Jahre 1978 in Jülich befasst.
Das Forschungszentrum Jülich (FZJ) hat bezeichnenderweise den beiden Kritikern des Kugelhaufenreaktuors die Herausgabe detaillierter Informationen zu diesem vielfach ignorierten Störfall verweigert. Allerdings haben die Beiden eine andere Informationsquelle gefunden und geben nun erste Hinweise auf bisher nicht genügend beachtete Fakten und Fragestellungen. Sie schreiben: „Mit der Sichtung uns neu zugänglicher Dokumente zu technischen Sicherheitsfragen und Störfallabläufen haben wir zwar begonnen und können schon jetzt sagen, dass unsere bösesten Ahnungen übertroffen worden sind - auch was den Umgang mit Kritikalitätsrisiken und sogar unerlaubte Manipulationen am Reaktorschutzsystem im Zuge des o.g. Ereignisses von 1978 angeht.“
Seit 1978 radioaktives Wasser im Boden
Moormann und Streich weisen darauf hin, dass 25 – 30 t hochradioaktives Störfall-Wasser im Boden und im Grundwasser erst nach 21 Jahren im Jahre 2000 entdeckt worden ist und zusätzliche Messungen während der zukünftigen Sanierungsarbeiten notwendig sind, um zu realistischen Einschätzungen des gesundheitlichen Gefahrenpotentials zu kommen.
Nach der offiziellen Version ist das radioaktive Strontium wahrscheinlich weitgehend vor Ort geblieben ist und hat nur in geringerem Umfang das Reaktorgelände verlassen. Allerdings muss nach Meinung von Moormann und Strauch dringend geprüft werden, ob mobilisierende Einflüsse wie PH-Wert-Änderungen über Jahrzehnte hinweg ausgeschlossen werden können.
Als sehr problematisch sehen Moormann und Strauch die Konzentration von Tritium an:
"Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass größere Mengen Tritium als HTO schon während des Ablassen des Wassers aus dem Reaktor und während des vielleicht etwas dilettantischen Versuchs, das radioaktive Wasser mit einer eilig herbeigeschafften Betonmischmaschine in der Nähe der defekten Bodenfuge zu verfestigen, in die Betonkammern und damit in das Grundwasser gelangt ist. Wäre dem so, hätte der AVR zur größten uns bekannten radioaktiven Grundwasserkontamination in Westeuropa geführt: Wir haben hier den aktuell gültigen Trinkwassergrenzwert von 100 Bq/l für Tritium mit der Gesamtmenge an verschüttetem Tritium von ca. 500 Milliarden Becquerel zu vergleichen.
Die Frage also: Ist es definitiv gesichert, dass dieses Tritium durch Verdunstung den in diesem Fall vermutlich harmloseren Weg in die Atmosphäre genommen hat, an Stelle in das Grundwasser zu gehen? Oder stand bei diesem Argument evtl. die Überlegung im Vordergrund, nicht eine gewaltige radioaktive Grundwasserkontamination einräumen zu müssen und damit die Marktchancen von Kugelhaufenreaktoren weiter zu reduzieren ? Wie Sie sicher wissen, hoffte der damalige Gutachter auf das Südafrika-Kugelhaufenreaktorprojekt PBMR und war dort ab ca. 2000 bis zu dessen Zusammenbruch 2010 relativ stark engagiert.“
Wurde Grundwasser radioaktiv verseucht?
In den tieferen Stockwerken wurden nach dem Störfall in den Wasserwerken keine auffälligen Tritiummengen entdeckt. Die aufgetretene Grundwasserkontamination beschränkt sich nach offizieller Version auf das obere Grundwasserstockwerk, während die öffentliche Trinkwasserentnahme aus tieferen Stockwerken erfolgte. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass eine Entwarnung gegeben werden kann:
„Zum Argument 3 ist anzumerken, dass
a) neben der öffentlichen Trinkwasserentnahme auch andere Formen der Grundwassernutzung vorkommen (Bewässerung, Viehtränken etc.), die vorzugsweise das obere Stockwerk betroffen haben würden. Sind solche Nutzungen des oberen Grundwasserstockwerks für den Zeitraum 1978 – 1982 im Abstrom vom AVR definitiv auszuschließen?
b) Verbindungen zwischen den Grundwasserstockwerken nach Auskunft von Rheinbraun-Fachleuten im relevanten Gebiet durchaus existieren. Ist dennoch ein Versickern der Radioaktivität in tiefere Grundwasserstockwerke mit Trinkwasserentnahme hinreichend sicher auszuschließen? War die Abfolge der Probennahme in den Wasserwerken zur Tritiummessung so dicht, dass auch eine zeitlich begrenzte „Tritiumwolke“ in jedem Fall hätte entdeckt werden müssen?
Schließlich erhebt sich bei uns noch die Frage, wie genau die Tritiumemissionen über die Abluft erfasst worden sind. Wie Sie vielleicht wissen, hat man von 1966 bis August 1973 nicht gemerkt, dass die Tritiumfilter beim AVR nicht funktionierten und alles Tritium ungefiltert in die Umgebung abgegeben.
Vor dem Hintergrund, dass die in der Jülicher Umgebung gehäuft aufgetretenen Fälle von kindlicher Leukämie (1980 – 90) zumindest zeitlich gut in einen Zusammenhang zu dem AVR-Wassereinbruchstörfall gebracht werden können, halten wir eine saubere Aufarbeitung dieser Fragen für zwingend erforderlich. Insbesondere das aus unserer Sicht vorschnelle Abwiegeln von FZJ, AVR und einiger offiziellen Stellen in dieser Angelegenheit sollte hinterfragt werden, denn die Bevölkerung hat Anspruch auf eine lückenlose Dokumentation der Freisetzungsabläufe und eventueller gesundheitlicher Folgen einschließlich aller Unsicherheiten.“
Waren hohe Reaktor-Temperaturen genehmigt?
Moormann und Steich weisen zum Schluß darauf hin, dass im Dezember 1987 experimentiell festgestellt worden ist, dass der kleine THTR in Jülich an bestimmten Stellen sehr viel höhere Temperaturen hatte als bisher angenommen. Es wird die Frage gestellt, ob die hohen Temperaturen während des Betriebes von 1974 bis 1987 außerhalb des 13. Ergänzungsbescheides zur AVR-Genehmigung lagen. Mit anderen Worten: Wurde der Reaktor überhaupt innerhalb der genehmigten gesetzlichen Auflagen betrieben?
Unerwünschte Ergebnisse werden nicht veröffentlicht!
Mit dem Rechenprogramm WAPRO wurden im Forschungszenturm Jülich Störfälle, hohe Temperaturen und Wassereinbruch beim AVR durchgerechnet. Allerdings nur auf der Basis viel zu niedrig abgeschätzter Spitzentemperaturen.
"Rechnungen mit höheren Spitzentemperaturen sind nur für Reaktorbedingungen ab 1988 bekannt, d.h. also für weniger problematische Fälle mit schon insgesamt abgesenktem Temperaturniveau des Reaktors. Nach unserer Kenntnis sind zwar WAPRO-Ergebnisse auch für die problematischen Bedingungen 1974 - 87 (Gastemperatur 950°C plus reale Graphit-Spitzentemperatur von über 1300°C) generiert, aber wegen der unerwünschten Ergebnisse (Auslegungsstörfall nicht beherrscht, Reaktor also unsicher) nie publik gemacht worden. Wir möchten Ihnen daher empfehlen, solche WAPRO-Ergebnisse bei AVR anzufordern."
Es ist haarstäubend, wie das FZJ mit unliebsamen Untersuchungsergebnissen und mit der Sicherheit der Menschen seit Jahrzehnten umgeht. Hier wird die Spitze eines Eisberges sichtbar. Was wird noch alles herauskommen?
In der monatlich erscheinenden Wirtschaftszeitung „brand eins“ vom Mai 2012 ist ein längerer Artikel über Rainer Moormann mit dem Titel „Kann denn Wahrheit Sünde sein?“ erschienen. Hier ist er nachzulesen: http://www.westcastor.de/br1.pdf
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Weiter zu: Zeitungsartikel 2012
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