Gemeinsame Stellungnahme im Rahmen der Verbändeanhörung zur Umsetzung der Empfehlungen der „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“ (KFK)

20. Okt. 2016

Gemeinsame Stellungnahme von '.ausgestrahlt' und 'Umweltinstitut München e.v.' zu dem Milliarden-Deal

Siehe dazu auch den Artikel vom 19. Okt. 2016
- Milliarden-Deal mit AKW-Betreibern rückt näher -

1. Grundsätzliche Anmerkungen

Das Verursacherprinzip ist eines der drei grundlegenden Prinzipien des Umweltrechts in Deutschland und Europa. Es besagt, dass die Kosten für die Vermeidung und Beseitigung von durch Wirtschaftstätigkeiten verursachte Umweltschäden dem Verursacher anzurechnen sind. Ziel dieses Prinzips ist es, zu verhindern, dass einzelne gesellschaftliche Akteure sich wirtschaftliche Vorteile verschaffen, indem sie die durch ihre Aktivitäten entstehenden Kosten und Risiken auf die Gesellschaft abwälzen. Ebenso soll mit der Durchsetzung dieses Prinzips erreicht werden, dass sich Wirtschaftsbereiche, deren volkswirtschaftliche Kosten den zu erzielenden volkswirtschaftlichen Nutzen übersteigen, nicht gegenüber anderen, aus gesamtgesellschaftlicher Sicht besseren, Lösungen durchsetzen können.

Die europäische Entsorgungsrichtlinie 2011/70/Euratom konkretisiert dies in Artikel 4, Absatz 3e für den Bereich der Atomkraft. Hier wird vorgeschrieben, dass die nationalen Politiken auf dem Grundsatz beruhen müssen, dass die Kosten der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle von denjenigen getragen werden, die dieses Material erzeugt haben. So ist auch im deutschen Atomgesetz (AtG) in § 2d Absatz 1 Nummer 5 ausdrücklich festgelegt, dass „die Kosten der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle von den Abfallerzeugern getragen werden“. § 9a Absatz 1 AtG sieht vor, dass Betreiber von Atomanlagen dafür sorgen müssen, dass „anfallende radioaktive Reststoffe sowie ausgebaute oder abgebaute radioaktive Anlagenteile den in § 1 Nr. 2 bis 4 bezeichneten Zwecken entsprechend schadlos verwertet werden oder als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden.“ Ebenso müssen die Anlagenbetreiber nachweisen, dass sie zur Erfüllung dieser Pflichten ausreichende Vorsorge getroffen haben. Die Kostentragungspflichten der Verursacher radioaktiver Abfälle sind in den §§ 21a und 21b geregelt.

Diesen gesetzlichen Vorschriften gegenüber ist in Deutschland seit vielen Jahren ein eklatantes Versäumnis von Seiten des Staates festzustellen, das Verursacherprinzip durchzusetzen. Allein seit dem Jahr 2000 haben die beiden größten der vier deutschen Atomkonzerne, E.on und RWE, fast 50 Milliarden Euro an Dividenden an ihre Aktionäre ausgeschüttet. Dieses Geld steht nun für den Rückbau und die Stilllegung der Atomkraftwerke sowie für die Lagerung des Atommülls nicht mehr zur Verfügung. Werden diese Lasten am Ende von der Allgemeinheit getragen, bedeutet das eine enorme Vermögensumverteilung von der Gesamtheit der SteuerzahlerInnen hin zu einer kleinen Gruppe von AnteilseignerInnen der Energieunternehmen. Dies entspricht aber nicht den allgemeinen Grundsätzen der Lasten- und Verteilungsgerechtigkeit, die im Verursacherprinzip zum Ausdruck kommen.

Die Versäumnisse der Vergangenheit nun in die Zukunft fortzuschreiben ist der falsche Weg. Vielmehr muss das Ziel sein, das Verursacherprinzip gerade auch mit Blick auf die aktuell prekäre Situation zumindest einzelner Betreiber zu wahren. Dies ist durchaus möglich, ohne das Fortbestehen der vier großen Energiekonzerne zu gefährden. Es setzt aber voraus, dass die Verursacher zumindest so lange in der Verantwortung bleiben, wie sie dazu wirtschaftlich in der Lage sind. Andernfalls würde die Bundesregierung zwar dem Rat von IGBCE-Chef Michael Vassiliadis folgen, „die Kuh, die man melken möchte, nicht zu schlachten“, aber gleichzeitig schon sehr bald darauf verzichten, diese Kuh zu melken.

2. Keine Haftungsentlassung für die Verursacher

Ungewissheit über tatsächliche Kosten

Allgemein haben zahlreiche öffentliche und industrielle Großprojekte in der Vergangenheit demonstriert, dass die vor der Durchführung bekannt gegebenen Kostenschätzungen zu niedrig angesetzt waren. Daher werden in der Literatur, zum Beispiel für Bahn- und Brückenbauten der öffentlichen Hand, durchschnittliche Kostensteigerungen von 35 bis 40 Prozent angegeben. (1.)

Alle bisherigen Projekterfahrungen, sowohl im Bereich von Rückbau und Stilllegung von Atomkraftwerken (AKW) als auch im Bereich der Atommülllagerung, zeigen ganz klar, dass eine realistische Einschätzung von zeitlicher Dauer und Höhe der endgültigen Kosten aufgrund der hohen Unsicherheiten schlicht unmöglich ist. In allen bekannten Fällen sind nicht von Anfang an kalkulierbare oder kalkulierte Situationen eingetreten, die dazu geführt haben, dass sich die Projekte zeitlich verzögert haben und wesentlich mehr finanzielle Ressourcen für ihre Durchführung benötigt wurden.

Ob es nun unerwartete Kontaminationen sind, die nach der Stilllegung festgestellt werden, oder Veränderungen in den Rückbaukonzepten, veränderte Anforderungen an die Sicherheit, z.B. für den Schutz gegen terroristische Angriffe, oder höherer Betriebsaufwand für die Zwischenlager – bei Projekten dieser Größenordnung und zeitlichen Dauer gibt es viele Unwägbarkeiten. Bei den AKW Lubmin und Rheinsberg wurde die Kostenprognose von ursprünglich 3,2 auf nun 6,6 Milliarden Euro korrigiert. Im AKW Stade hat Eon die ursprüngliche Schätzung von 500 Millionen Euro inzwischen auf eine Milliarde Euro ebenfalls etwa verdoppelt. An allen Zwischenlagerstandorten sind zudem schon heute unvermeidliche Nachrüstungen („Härtung“) im Gange oder absehbar, die bei der Kostenprognose, die Basis der Rückstellungsberechnungen ist, ebenfalls unberücksichtigt blieben.

Der offizielle „Stresstest“ zur Bewertung der Atom-Rückstellungen im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums bemängelt explizit die veraltete Grundlage der Kostenermittlung für das HAW-Langzeitlager und weist darauf hin, dass die Kostenschätzung eventuell nur aus diesem Grund im internationalen Vergleich relativ niedrig ausfällt. (2.) Die zugrunde gelegten Kostenannahmen stammen zudem vielfach nur von den Betreibern selbst; ihre Tragfähigkeit haben die GutachterInnen nach eigenen Angaben nicht überprüft.

Warth & Klein (2015) machen ebenfalls deutlich, dass „Rückstellungen Schulden sind, die hinsichtlich ihrer Höhe oder Fälligkeit ungewiss sind. (…) Die Bestimmung eines sicheren, absolut richtigen Werts der Entsorgungsverpflichtung ist grundsätzlich nicht möglich.“ (3.) Ebenso liefern die GutachterInnen folgende Einschätzung: „Hohe Kostensteigerungen sind denkbar und bei manchen Großprojekten auch beobachtbar. Hohe Kostensenkungen sind hingegen eher unrealistisch.“ (4.)

Aus diesem Grund ist eine unbegrenzte Nachhaftung mit Nachschusspflicht der Verursacher die einzige Möglichkeit, das Verursacherprinzip in der Praxis durchzusetzen. Die nun im Gesetzesentwurf vorgeschlagene Regelung, dass „bereits mit Einzahlung des Grundbetrages die Verpflichtungen der Betreiber nach §§ 9a, 21a und 21b des Atomgesetzes sowie § 21 des Standortauswahlgesetzes“ enden und „die Verpflichtung des Einzahlenden zur Leistung von etwaigen Nachschüssen in den Fonds gemäß §8 Absatz 2“ … „mit Einzahlung des Risikoaufschlages“ endet (vgl. S. 7 und S. 28), ist nicht tragbar, da sie dem Verursacherprinzip ein Ende setzen würde.

Zudem ist nicht nachvollziehbar, dass nicht zumindest spezifiziert wird, dass die Nachschusspflicht des Einzahlenden erst dann endet, wenn der gesamte in den Fonds einzuzahlende Betrag inklusive des Risikoaufschlags und aller bei Zahlung nach dem 01.01.2017 anfallenden Zinsen für diese Beträge eingezahlt worden ist.

Berücksichtigung der Ergebnisse der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Stoffe“

Am 2. Juni 2016, also etwa sechs Wochen nach der Veröffentlichung des Empfehlungsberichts der „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK)“, hat die „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Stoffe (Endlager-Kommission)“ den bisher im Standortauswahlgesetz (StandAG) vorgesehenen Zeitplan für die Suche nach einem „Endlager“ als unrealistisch qualifiziert.

Im StandAG heißt es, dass ein Standort für das HAW-Langzeitlager bis 2031 gesucht und festgelegt werden soll. Die Kommission hält aber auch einen Zeitraum von 40 bis 60 Jahren für denkbar. Dies geht aus einem einstimmig in dritter Lesung beschlossenen Kapitelteil des Abschlussberichtes der Kommission zum Zeitbedarf der „Endlager“-Suche hervor. (5.) Demnach könnte ein Standort-Beschluss frühestens 2058 fallen, wenn die Suche 2018 beginnt. Mit einer Inbetriebnahme des Standortes und der Einlagerung der Abfälle wäre dann erst im nächsten Jahrhundert zu rechnen. Das Bundesumweltministerium hatte als Zeitpunkt der Inbetriebnahme bisher das Jahr 2050 angegeben. Warth & Klein gingen bei den Berechnungen in ihrem „Stresstest“ noch von dieser Vorgabe aus und auch die KFK hat ihre Empfehlungen auf Grundlage ebendieser Annahmen getroffen.

Dauert das Standortauswahlverfahren aber deutlich länger als veranschlagt, sind damit in vielen Punkten auch höhere Kosten verbunden: nicht nur für das Standortauswahlverfahren an sich, sondern auch wegen der dann nötigen längeren Zwischenlagerung der Abfälle. Diese führt unter Umständen zu höheren baulichen und Sicherheits-Anforderungen bei den Zwischenlagern (heiße Zellen etc.) und macht gegebenenfalls ein Umpacken der Abfälle erforderlich, wenn die bisherigen Castor-Behälter ihre auf 40 Jahre bezifferte Lebensdauer überschreiten.

Diese neu entstandenen Kostenrisiken hat die Atom-Finanzkommission bei ihrem Vorschlag zur Höhe des „Risikoaufschlags“, den die Energieversorger zur Deckung künftiger Kostenrisiken zu zahlen haben, nicht berücksichtigt. Da diese Risiken ebenso wie weitere bestehende Unsicherheiten über die endgültigen Kosten der Atommülllagerung nicht eindeutig zu quantifizieren sind, fordern wir nicht nur eine diese spezifische neue Erkenntnis reflektierende Erhöhung des Risikoaufschlags, sondern eine unbegrenzte Nachschusspflicht von Seiten der Verursacher.

Unsicherheiten über künftige Verzinsung

Der „Stresstest“ im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums zur Bewertung der Atom-Rückstellungen weist darauf hin, dass der von den EVU verwendete Zinssatz von durchschnittlich 4,58 Prozent auf durchschnittlichen Renditen langfristiger deutscher Staatsanleihen der letzten sieben (HGB) bzw. 15 bis 22 Jahre basiert. Die GutachterInnen halten es jedoch für eine sinnvolle aktuelle Bewertung für geboten, statt überholter historischer Marktzinsen die tatsächlichen aktuellen zu verwenden. Sie weisen darauf hin, dass der Zinssatz auch nach dem Wortlaut der International Accounting Standards (IAS) 37.47 die aktuellen Markterwartungen widerspiegeln soll. (6.)

Dafür verwenden Warth & Klein die auf den tatsächlichen Marktzinsen aufsetzende und sich einem nachhaltigen Zinssatz annähernde Zinsstrukturkurve, die die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen (EIOPA) entsprechend der Methodik des EIOPA-Stresstests für Versicherungen am 31.12.2014 veröffentlicht hat. Nach Ansicht der ExpertInnen liefert sie die belastbarste Abschätzung langfristiger Zinsen für die Abzinsung sehr langlaufender Verpflichtungen. Zudem entspricht sie grundsätzlich der Vorgehensweise der Swedish Radiation Safety Authority (SSM) bei der Ableitung der schwedischen Entsorgungsgebühren.

Legt man eine langfristige Annäherung an einen Zinssatz von drei Prozent (und damit einen durchschnittlichen Zinssatz von gut zwei Prozent) an, müsste der Barwert der Atom-Rückstellungen zum 31.12.2014 allerdings 77 Milliarden Euro statt 38 Milliarden Euro betragen. Warth & Klein identifizieren hier also eine Finanzierungslücke von fast 40 Milliarden Euro. Selbst in einem Szenario, das von einer weit positiveren Zinsentwicklung in der Zukunft hin zu langfristig 5,6 Prozent Zinsen ausgeht, müssten bis Ende 2014 bereits 60 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet worden sein. Hier bestände also immer noch eine Finanzierungslücke von 22 Milliarden Euro gegenüber den Stand 2014 tatsächlich gebildeten Rückstellungen. Bei Annahme einer durchschnittlichen Zinsentwicklung hin zu einem Zinssatz von 4,2 Prozent wäre die Bildung von 67 Milliarden Euro Rückstellungen zum Jahresende 2014 nötig gewesen, was eine Finanzierungslücke von 29 Milliarden Euro bedeuten würde. (7.)

Es ist unverantwortlich, dass diese Erkenntnisse über die unzureichende Höhe der Rückstellungen durch die von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebene Studie, die auch Grundlage der Empfehlungen der KFK war, bislang nicht in den Gesetzesentwurf einbezogen werden.

Unzureichende Höhe des Risikoaufschlags

Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass der von der KFK vorgeschlagene „Risikoaufschlag“ als Gegenleistung für die vollständige Haftungsentlassung der Betreiber aus den Verpflichtungen für die Atommülllagerung die in diesem Bereich bestehenden Risiken nicht annähernd realistisch widerspiegelt. Die Kommission widerspricht sich in ihren Ausführungen zur Festlegung des Risikoaufschlags bereits selbst. So heißt es in Kapitel 4.8 des Abschlussberichts der KFK zunächst: „Im Bereich der Endlagerung sind die Kosten- und Zinsrisiken wegen der Langfristigkeit besonders schwer abzuschätzen.“ Zwei Absätze weiter wiederum verkündet die Kommission: „Der Aufschlag schließt die Lücke zwischen Rückstellungen und Kosten.“ (8.) Nach allem, was die von der KFK angehörten ExpertInnen auf wissenschaftlicher Basis zur Entwicklung von Zinsen und Kosten zusammengetragen haben, ist letztere Aussage höchst unseriös.

Der „Risikoaufschlag“ wurde mitnichten auf der Grundlage von Berechnungen über die erwarteten Kosten- und Zinsrisiken festgelegt. Vielmehr ist er das Ergebnis von Verhandlungen mit den AKW-Betreibern darüber, was diese bereit sind, als Gegenleistung für den ökonomischen Vorteil in der Bewertung ihrer Unternehmen und beim Zugang zu den Finanzmärkten, den die KFK-Lösung ihnen verschafft, zu bezahlen. Entsprechend findet sich im KFK-Bericht bezeichnenderweise keinerlei Hinweis darauf, wie die Höhe des „Risikoaufschlags“ berechnet worden sein soll. Es ist völlig unverständlich, warum die KFK, die das Gutachten von Warth & Klein (2015) zur Grundlage ihrer Arbeit gemacht hat, deren Ausführungen über die durch die jüngsten und zukünftig zu erwartenden Zinsentwicklungen entstandenen zusätzlichen Rückstellungsnotwendigkeiten ignoriert hat.

Allein die sich aus realistischen Zinsannahmen ergebenden Rückstellungsdefizite liegen (Stand 2014) zwischen 22 und 39 Milliarden Euro. Der von der KFK genannte „Risikoaufschlag“ von sechs Milliarden Euro ist demnach bei Weitem nicht ausreichend hoch, um die bei den zu erwartenden Zinsentwicklungen entstehenden Fehlbeträge auf der einen und die Differenz zwischen veranschlagten und tatsächlichen Kosten auf der anderen Seite zukünftig zu decken. Um dem Verursacherprinzip Rechnung zu tragen und das finanzielle Risiko für die SteuerzahlerInnen zu begrenzen, müsste die Bundesregierung in jedem Fall einen deutlich höheren Aufschlag auf die in den Fonds zu übertragenden Rückstellungen von den Betreibern fordern, der die bereits jetzt bekannten sowie wahrscheinliche zukünftige Kostenrisiken adäquat abbildet.

Wir plädieren unabhängig von der Höhe des Aufschlags ganz klar dafür, die unbegrenzte Haftung der Verursacher des Atommülls beizubehalten. Mindestens aber muss gewährleistet sein, dass der vor einer vollständigen Enthaftung zu bezahlende „Risikoaufschlag“ tatsächlich auf Grundlage einer fundierten Beurteilung der tatsächlichen finanziellen Risiken festgelegt wird und diese adäquat widerspiegelt. Alles andere widerspricht der Pflicht zum sorgfältigen Umgang des Staats mit Steuergeldern.

3. Höhere Einzahlungen in den Fonds und unbegrenzte Nachschusspflicht ohne Überschuldungsgefahr für die Betreiber

Um dem Verursacherprinzip Rechnung zu tragen, müssen die AKW-Betreiber in Anbetracht des Kosten- und Zinsrisikos bei der Atommülllagerung zu weitaus höheren Zahlungen an den geplanten Entsorgungsfonds verpflichtet werden. Dies gilt sowohl bei einer geplanten Enthaftung als auch bei der von uns geforderten unbegrenzten Nachhaftung und Nachschusspflicht der vier großen Energieunternehmen für die von ihnen verursachten Atommüllkosten. Eine Nachschusspflicht der Konzerne sollte dann eintreten, wenn auch das zusätzlich zu den derzeitigen Rückstellungen in den Fonds einzuzahlende Geld absehbar nicht ausreicht.

Die aktuell schwierige wirtschaftliche Situation der Betreiber insgesamt oder gar einzelner Unternehmen darf nicht das Maß für die von den Verursachern verlangten Beiträge in den Fonds sein und auch kein Argument gegen eine unbegrenzte Nachhaftung und Nachschusspflicht. Denkbar ist allerdings, dass der Gesetzgeber den Konzernen bei den Zahlungsmodalitäten entgegenkommt. So könnte er ihnen etwa, unter der Bedingung, dass die Betreiber die weitere Produktion hochradioaktiver Abfälle stoppen, also ihre AKW stilllegen, Ratenzahlungsmodelle für ihre Atom-Verpflichtungen ermöglichen. Die Höhe der Raten könnte dabei – ähnlich einem earn-out-Vertrag – an die Ertragslage und die Dividendenzahlungen der Konzerne gebunden werden.

Sollte einzelnen Unternehmen durch die unbegrenzte Nachschusspflicht eine bilanzielle Überschuldung drohen, könnte die Bundesregierung – bei einem Stopp der Dividendenzahlungen –einem qualifizierten Rangrücktritt für bestimmte Verbindlichkeiten zustimmen. So könnte das Verursacherprinzip gewahrt und gleichzeitig eine existenzbedrohliche Belastung der Energiekonzerne vermieden werden. Es wäre gewährleistet, dass die Unternehmen in dem Fall, dass sich ihre wirtschaftliche Lage wieder verbessert, weiterhin für die Atom-Folgekosten zur Verantwortung gezogen werden können.

4. „Risikoaufschlag“ nicht als Steuergeschenk an die Stromversorger zurückgeben

Die Bundesregierung plant derzeit, die Brennelementesteuer für Atomkraftwerke zum Ende des Jahres 2016 auslaufen zu lassen. Wird diese Steuer tatsächlich abgeschafft, bedeutet das ein Steuergeschenk von fünf Milliarden Euro an die Energieunternehmen. Zieht man diesen Betrag von dem „Risikoaufschlag“ ab, bleibt von der einzigen derzeit vorgesehenen finanziellen Gegenleistung der Stromversorger für ihre Enthaftung fast nichts mehr übrig.

Es sollte selbstverständlich sein, dass die bestehenden Kostenrisiken durch eine angemessene Nettozahlung der Verursacher gedeckt werden. Wird ihnen diese Zahlung jedoch direkt als Steuerersparnis wieder zurückgegeben, ist der Zweck, nämlich für eine Deckung der Kosten sowie künftiger Kostenrisiken durch die Verpflichteten zu sorgen und die SteuerzahlerInnen zu entlasten, nicht erfüllt.

Wir fordern daher eine Entfristung der Brennelementesteuer, die mit dem Ziel eingeführt wurde, die Atomkonzerne angemessen finanziell an den durch die Atomenergie verursachten Kosten und Risiken zu beteiligen.

5. Regelungen zur Nachhaftung abdichten

Die Bundesregierung hat am 1. Juni 2016 angekündigt, „den Anwendungsbereich des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich (BT-Drucksache 18/6615) dahingehend zu erweitern bzw. eine Regelung mit dem Inhalt zu schaffen, dass auch abgespaltene Unternehmen und Unternehmensteile für Nachhaftungsverpflichtungen an den zu errichtenden öffentlich-rechtlichen Fonds haften.“ Diese Änderung ist sehr zu begrüßen, da sie ein bisher im Nachhaftungsgesetz enthaltenes Schlupfloch schließt und die Haftung im konkreten Fall von E.on und der Unternehmensabspaltung Uniper besser absichert. Ihre Konkretisierung findet sich nun im § 3 Absatz 3 und 4 des Nachhaftungsgesetzes (S. 25 f.).

Es ist erfreulich, dass hier explizit nicht nur die Unternehmensaufteilung nach dem Umwandlungsgesetz, sondern auch die Übertragung auf „sonstige Weise, ohne dass dem übertragenden herrschenden Unternehmen eine angemessene Gegenleistung zugeflossen ist“ einbezogen wird. Diese Klarstellung erscheint uns wichtig. Insbesondere gilt dies für RWE, das seine neue Tochtergesellschaft Innogy vor Investoren noch im August 2016 explizit damit bewirbt, die Form der Aufteilung verhindere eine Haftung für die Atom-Verpflichtungen der Muttergesellschaft, da es sich formal nicht um eine Abspaltung („split-off“) handele. (9.)

Allerdings ist es nun noch dringend notwendig, im Nachhaftungsgesetz zu spezifizieren, dass das Prinzip „Abspaltungen haften für ihre Konzernmütter“ auch für den Bereich Rückbau und Stilllegung und nicht nur für den durch den öffentlich-rechtlichen Fonds abgedeckten Bereich der Atommülllagerung greift. Für Rückbau und Stilllegung der Atomkraftwerke sollen die Stromversorger auch nach der KFK-Empfehlung vollumfänglich selbst verantwortlich bleiben und für sämtliche künftige Kostensteigerungen haften. Ist jedoch nicht klar geregelt, dass auch hier Unternehmensabspaltungen als „herrschende Unternehmen“ gelten und damit weiterhin in der finanziellen Verpflichtung bleiben, könnten letztlich diese Kosten im Falle einer Pleite eines Mutterkonzerns ebenfalls auf die SteuerzahlerInnen abgewälzt werden. Diesem Fall muss, analog zum oben beschriebenen Fall der Kosten für die Atommülllagerung, vorgebeugt werden.

Anmerkungen 1 - 9

1. Vgl. z.B. B. Flyvberg (2009): Delusion and Deception in Large Infrastructure Projects: Two Models for Explaining and Preventing Executive Disaster. In: California Management Review 51,2, S. 170-193

2. Vgl. Warth & Klein: Gutachtliche Stellungnahme zur Bewertung der Rückstellungen im Kernenergiebereich, 9. Oktober 2015, S. 8 u. S. 76

3. Ebd., S. 4

4. Ebd., S. 55

5. Vgl. die aktuelle Meldung der Bundesregierung vom 2.6.2016: http://www.bundestag.de/presse/hib/201606/-/425748

6. Vgl. Warth & Klein (2015), S. 62

7. Vgl. Warth & Klein (2015), Tabelle 21, S. 69

8. Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs: Verantwortung und Sicherheit – Ein neuer Entsorgungskonsens, 27. April 2016, S. 30

9. Vgl. Innogy Unternehmenspräsentation, online abrufbar unter folgendem Link: http://www.rwe.com/web/cms/mediablob/de/3125204/data/3125176/7/rwe/investor-relations/praesentationen/rwe-ergebnisprognose-innogy/innogy-company-presentation-1-august-2016.pdf, Folie 12 (zuletzt aufgerufen am 22. August 2016)

 

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