Forschungsethik

26. März 2014

THTR-Forschung in NRW geht immer weiter!

Horst Blume

In der WDR-Fernsehsendung „Markt“ vom 17. März 2014 wurde aufgedeckt, dass im Forschungszentrum Jülich (FZJ) und an der RWTH Aachen erneut die Weichen für die Weiterentwicklung von Hochtemperaturreaktoren (HTR´s) gestellt worden sind.

Der kleine Forschungsreaktor in Jülich und der THTR 300 in Hamm-Uentrop mussten in den Jahren 1988 und 1989 nach zahlreichen Pannen und Störfällen stillgelegt werden. Trotz „Atomausstieg“ und der Reaktorkatastrophe in Fukushima und trotz der verheerenden Sicherheitsmängel dieser Reaktorlinie wurden seit Jahrzehnten (!) vom Land NRW und vom Bund viele Millionen Euro für seine Weiterendwicklung ausgegeben. In den Ausgaben des THTR-Rundbriefes haben wir dies laufend ausführlich dokumentiert (siehe Anmerkung unten).

Jetzt hat die Atomlobby in Politik, Wissenschaft und Energiekonzernen einen erneuten Schritt vollzogen. Der Aufsichtsrat des FZJ, indem auch die rotgrüne NRW-Landesregierung mit Sitz und Stimme vertreten ist, hat Ende 2013 genehmigt, dass der fanatische Kugelhaufenreaktor-Förderer Prof. Hans-Josef Allelein (Jahrgang 1952) bis zu seiner Pensionierung noch fünf Jahre lang an der HTR-Reaktorlinie forschen darf! Dementsprechend dreist tritt dieser Atomfan in der Sendung auch auf: Mir kann keiner mehr was!

Die jahrzehntelange Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit der NRW-Landesregierung und der Bundesregierung, die Forschung an Pleitereaktoren zu unterbinden ist wirklich einmalig! Es ist höchste Zeit zu prüfen, inwiefern bestimmte Personen haftbar gemacht werden können, weil sie offensichtlich gegen geltende Beschlüsse und Gesetze verstoßen.

Besonders bemerkenswert ist, dass in Jülich und Aachen Kapazitäten und finanzielle Mittel nicht in eine möglichst ungefährliche „Entsorgung“ der großen Mengen radioaktiven HTR-Atommülls und in die Sicherung der strahlenden Reaktorruinen gesteckt wird, sondern in Berechnungen und Forschungen für einen Neubau von HTRs in China, Indien oder sogar in der EU.

Hier dokumentieren wir den sehr interessanten Artikel zu dem Beitrag in der WDR-Sendung „Markt“ vom 17. März 2014:

Atomforschung: Weiterentwicklung anstatt Entsorgung? Umstrittene Forschung in Jülich

2022 soll er kommen: der Atomausstieg. Das weiß man auch im Forschungszentrum Jülich. Hier steht eine mit Betastrahlen verseuchte Nuklearanlage. Nun stellt sich unter anderem die Frage: Wohin mit den Brennelementen? Aber offensichtlich beschäftigt man sich in Jülich auch mit der Weiterentwicklung einer umstrittenen Nukleartechnologie.

Der Versuchsreaktor in Jülich war ein Misserfolg.

Forschungsdesaster: Hochtemperaturreaktor in Jülich

Im Forschungszentrum Jülich war 20 Jahre lang ein Versuchsreaktor in Betrieb, in dem mit Kugelbrennelementen Temperaturen von über 1000° erzeugt wurden – die Hoffnung auf sichere Atomenergie. Doch der Traum zerplatzte nach zahlreichen Sicherheitsmängeln und Störfällen. 1978 traten erhebliche Mengen Strontium 90 und Tritium aus dem Reaktor in Boden und Grundwasser aus. Beides kann Leukämie verursachen, Strontium 90 außerdem Knochenkrebs. Trotzdem wurde der Reaktor weiter betrieben, mit viel zu hoher Temperatur. Die endgültige Stilllegung erfolgte vor 26 Jahren. Danach war Jülich lange Zeit „die am stärksten mit Betastrahlen wie Strontium 90 verseuchte Nuklearanlage der Welt“, räumte im Jahr 2000 selbst der Betreiber ein.

Prof. Hans-Josef Allelein ist sowohl Institutsleiter am Forschungszentrum Jülich als auch an der Technischen Hochschule Aachen. Er ist trotz der Störfälle beeindruckt von der Technologie: "In Deutschland wird man in den nächsten 30 Jahren sicher keinen Kugelhaufenreaktor brauchen. Der wird auch nicht wirtschaftlich werden. Aber das ist wie bei vielen Technologien die Frage, ob man sich jetzt die Zeit nimmt und das weiterentwickelt und dann auch die Potentiale auslotet", so der Wissenschaftler.

Enorme Rückbaukosten

Dabei gibt es akut jede Menge Probleme. Wohin mit den Brennelementen? Sie lagern in 152 Castoren, aufbewahrt in einer Leichtbauhalle aus Metall und Blech. Die Rückbaukosten für den Reaktor sind erheblich, ein Ende ist nicht abzusehen. Seit der Stilllegung sind laut Information des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2012 insgesamt 651 Millionen Euro Steuergelder in den Rückbau geflossen, pro Monat kommen zusätzlich 1,3 Millionen Euro laufende Betriebskosten hinzu. Chemiker und Sicherheitsexperte Rainer Moormann war 35 Jahre lang am Forschungszentrum in Jülich beschäftigt. Inzwischen ist er ein scharfer Kritiker geworden: "Die Kosten sind überhaupt nicht abschätzbar derzeit. Weil man auch nicht weiß, wo das Strontium sitzt und wie breit es sich da verteilt hat. Und ansonsten muss der Reaktor, der 2100 Tonnen schwere Behälter, der ja jetzt mit Beton verfüllt ist, damit die Radioaktivität gebunden ist, der muss ja irgendwann mal in 60 Jahren oder später behandelt oder als Ganzes endgelagert oder zerlegt werden. Das ist eine riesige Aufgabe."

Wie kann der Atommüll aus Jülich entsorgt werden? Erhebliche Probleme bei der Entsorgung

Zurückgebaut wird der Reaktor inzwischen von den bundeseigenen Energiewerken Nord – mit großen Hindernissen: Immer wieder kam und kommt es zu Verzögerungen, weil laut BMBF die "Komplexität dieser Arbeiten bei der ursprünglichen Planung unterschätzt worden sei" und die "Kontamination einzelner Bauteile" nicht einzuschätzen war bzw. ist. Dabei strahlt das atomare Erbe vor sich hin: 300.000 Kugelbrennelemente mit hochangereichertem Uran. Die Castorbehälter stehen überirdisch. Die Halle ist ein Zwischenlager, derzeit ohne Genehmigung. Rainer Moormann hält das alles für ein "totales Debakel". Er kritisiert, dass man sich in Jülich den vielen offenen Fragen und notwendigen Vorarbeiten und Maßnahmen zur Entsorgung der Brennelemente nicht stelle.

Umstrittene Weiterentwicklung der Kugelhaufentechnologie

Die Entsorgungsforschung aber ist nicht Prof. Alleleins Thema. Trotz Atomausstiegs wird geforscht und gerechnet. Uns liegen Papiere vor, mit denen Prof Allelein 2013 einen Vortrag hielt. Komplizierte Berechnungen – verständlich nur für Wissenschaftler. Es geht offensichtlich um die Weiterentwicklung der Kugelhaufentechnologie. Allelein sagt: "Wir haben die entsprechenden Rechenprogramme und die entwickeln wir auch weiter, stellen diese Interessenten zur Verfügung. Wir haben da weltweites Interesse: Vor allem die Chinesen sind interessiert. Die bauen ja zurzeit einen solchen Kugelhaufenreaktor und die nutzen dann auch unsere Expertisen."

Prof. Hans-Josef Allelein ist trotz der Störfälle beeindruckt von der Kugelhaufentechnologie.

Die meisten Kollegen aus der Branche sehen das kritisch, so auch der Nuklearexperte Michael Sailer vom Ökoinstitut in Darmstadt. "Der Kugelhaufenreaktor ist komplizierter und teurer und hat bisher nicht bewiesen, dass er für die Praxis brauchbar ist. Die meisten Leute, die sich mit Nukleartechnik befassen, sehen das so. Deshalb gibt es weltweit praktisch auch keine Projekte, in denen das Konzept weiter verfolgt wird", so der Chemiker.

Forschung mit Steuergeldern

Und doch fließen Steuergelder: Dem Lehrstuhl an der TH Aachen spendet das Bundeswirtschaftsministerium seit Jahren ein Forschungsbudget. Im Jahr 2013 waren das 730.000 Euro, und vom Forschungsministerium gab es noch 390.000 Euro dazu – für Sicherheitsforschung. Bundesweit wird die sogenannte Reaktorsicherheitsforschung übrigens mit über 25 Millionen Euro gefördert. Doch Michael Sailer und Rainer Moormann kritisieren, dass mit diesen Geldern eben nicht nur Sicherheitsforschung betrieben, sondern auch eine Weiterentwicklung der Kugelhaufentechnologie gefördert werden könnte.

Ein winziger Versuchsreaktor, der in seiner Laufzeit höchsten 13 Megawatt Strom geliefert hat, ist ein atomares und finanzielles Fass ohne Boden geworden. Die Entsorgung ist nicht geklärt. Der Beton bröckelt. Und dennoch gibt es Wissenschaftler, die nicht loslassen können.

Autorin: Petra Storch

Hier ist die Sendung einsehbar:

http://www1.wdr.de/fernsehen/ratgeber/markt/sendungen/atomforschung101.html

Anmerkungen: Forschungsförderung für den THTR bis heute - Dokumentiert in den THTR-Rundbriefen

THTR- Rundbrief Nr. 143 - Juni 2014: 25 Jahre nach der THTR-Stilllegung: Jülich muß THTR-Forschung aufgeben!

THTR-Rundbrief Nr. 140: THTR-Freunde ku(n)geln sich weiter

THTR-Rundbrief Nr. 136: THTR-Forschung geht weiter!

THTR-Rundbrief Nr. 133: CDU-Wirtschaftsvereinigung will Subventionen für Pleitetechnologie!

THTR-Rundbrief Nr. 131: Exzellente NRW-Atomkraft?

THTR-Rundbrief Nr. 124: Neues von „Atomausstieg“: Zu RWTH Aachen

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Weiter zu: Zeitungsartikel 2014

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