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08.04.2019 - Ein Buch über die Irrungen der Atommüll-Entsorgung
Artikel von Kurt Marti aus www.infosperber.ch
Der Geologe und Atomkritiker Marcos Buser schreibt in seinem neusten Buch schonungslos über das Schweizer Atommüll-Fiasko.
Am 14. Juni 2012 trat der Geologe Marcos Buser unter Protest aus der Eidgenössischen Kommission für nukleare Entsorgung zurück, deren Mitglied er seit 2008 war. Dem Rücktritt folgten monate-, ja jahrelange Berichterstattungen in den Medien. Auch Infosperber beleuchtete damals die Hintergründe von Busers Rücktritt (Hintergründe zum Persil-Gutachten der Atomaufsicht). Und auch die Nachwehen im April 2016 waren Stoff für mehrere Infosperber-Artikel.
Jetzt hat Marcos Buser ein Buch über die jahrzehntelangen, erfolglosen Versuche der Atommüll-Entsorgung in der Schweiz geschrieben. Darin zeigt er minutiös auf, wie die Institutionen des Bundes sich von den AKW-Betreibern gängeln liessen und wie die einstigen Versprechungen nie eingehalten wurden. Stattdessen wurden die Termine immer weiter in die Zukunft verschoben und die Einwände von Kritikern wie Buser unter den Tisch gewischt. Akut wurde das Problem des radioaktiven Abfalls nur dann, wenn die Atombranche neue Atomkraftwerke bauen wollte und die Opposition Druck aufsetzte, sei es in den 70- und 80er Jahren mit dem Projekt «Gewähr» oder in den Nuller-Jahren mit dem «Sachplan geologische Tiefenlager».
Infosperber publiziert ausschnittsweise aus dem Kapitel 14 «Eine kleine Schlussbilanz des nuklearen Abenteuers in der Schweiz»:
«Die Bilanz über das fast dreiviertel Jahrhundert dauernde atomare Experiment der Schweiz ist ernüchternd – trotz der massiven und jahrzehntelangen Förderung und des Zusammenspannens der verschiedenen staatlichen, wissenschaftlichen und privaten Interessen. Zwar produzieren fünf Reaktoren seit Jahrzehnten mehr oder weniger zuverlässig und sicher Strom – dafür verschwanden fünf andere Projekte vorwiegend unauffällig aus der nuklearen Zukunftsplanung. Auch spätere Programmentwürfe liefen auf: Die angekündigte Renaissance mit dem Europäischen Druckwasserreaktor ging daneben – wegen technischer Probleme und mangels Rentabilität der Stromproduktion. Die als ruhmreich gepriesene atomare Vision der Schweiz ist zu einer kümmerlichen Ausstiegsprozedur in Raten geworden.
Nicht besser erging es den Plänen für die atomare Aufrüstung der Schweiz – der Kernschmelzunfall in Lucens im Jahr 1969 setzte den Schweizer Plänen für eine eigene Reaktorentwicklung und letztendlich den Aspirationen auf eine eigene Bombe de facto ein Ende. Auch in diesem Fall schleppten sich die Rückzugsgefechte über Jahre und Jahre dahin. Vor allem aber: Das «Back-End» der Technik, die sichere und dauerhafte Entsorgung radioaktiver Abfälle, missriet bisher komplett. Der Brennstoffkreislauf mit Wiederaufarbeitung und der Aufbau einer Plutoniumwirtschaft scheiterten bereits in den späten 1970er-Jahren. Knapp fünfzig Jahre nach Inbetriebnahme des ersten Werks in Beznau und der Gründung der für die Abfälle zuständigen Institution 1972 ist das Standortsuchverfahren für die radioaktiven Abfälle immer noch im Gang – trotz des 1978 im Verlauf der Atomgesetzrevision abgegebenen Versprechens der Atomwirtschaft, ein Endlager für hochaktive Abfälle stehe im Laufe der 1990er-Jahren bereits zur Verfügung.
Die auf das Jahr 1985 terminierte Frist verstrich, ohne dass der geforderte Nachweis der „dauernden sicheren Entsorgung und Endlagerung“ von Betreiberseite erbracht wurde. Die Werke laufen entgegen dem damaligen Versprechen alle weiter. Die Suche nach Endlagern und Standorten ging ebenfalls weiter. Wirtgesteine wurden gewechselt. Zeitpläne verschoben. Eile wurde geltend gemacht. Bis heute. Das Ergebnis ist vernichtend: Eine Projektruine folgte der nächsten. Anhydrit-Standorte in den Alpen und im Jura wie etwa das Bergwerk Felsenau, Standorte im kristallinen Grundgebirge, Standorte für das Programm der schwach- und mittelaktiven Abfälle wie Piz Pian Gran im bündnerischen Misox, Bois de la Glaive in Ollon und der nachträglich ins Programm geschmuggelte Wellenberg und wie sie alle noch heissen. Alle Standortsuchprogramme erlitten Schiffbruch. So liegt der Betrieb eines Endlagers – wenn es ein solches je im Inland geben sollte – immer noch in der fernen Zukunft. Die Misserfolge sind also zahlreich. Die Wortbrüche ebenfalls. Und das Ergebnis – an der Oberfläche betriebene Zwischenlager auf dem Buckel von weiteren Generationen – ist inakzeptabel. Von den Kosten ganz zu schweigen.
Nach den gebrochenen Zusicherungen mit dem Projekt „Gewähr 1985“ ist mit dem „Sachplan geologische Tiefenlager“ der nächste Schwindel bereits voll im Gang. Das „ergebnisoffene“ Standortwahlverfahren zielt auf jene beiden Standorte, die seit Jahrzehnten im Blickpunkt der Atomwirtschaft stehen. Hindernisse, die dieses Ergebnis infrage stellen könnten, werden aus dem Weg geräumt. PR -Kampagnen übertünchen Misserfolge und konfektionieren Erfolgsgeschichten. Hiess es nämlich Ende der 1970er-Jahre in den entsprechenden Werbeunterlagen der Schweizer Atomwirtschaft, „die Endlagerung radioaktiver Abfälle“ sei „technisch gelöst“ und „die Realisierung der bekannten Lösungen“ seien „auch in der Schweiz möglich“, wird heute von derselben Seite argumentiert, es gehe jetzt nur noch „um die Optimierung der Sicherheit“. „Ungewissheit gibt es nur noch bei einzelnen Teilaspekten. Die entsprechenden Anforderungen und Bearbeitungsschritte für deren Reduzierung sind bekannt“, liest man etwa in einer Mitteilung der Nagra von Ende 2016. Zwischen diesen Botschaften liegen vierzig lange Jahre, in denen die Realisierung eines „geologischen Tiefenlagers“ noch weiter in die Ferne gerückt ist.
Wiederum schleichen sich ähnliche Muster und Mechanismen bei der Umsetzung der Programme ein, die dazu führen, dass sich Projekte mit dem geforderten Sicherheitsstandard nicht wunschgemäss entwickeln können. Wiederum wird mit alten Schlagwörtern hausiert, etwa jenem, die Sicherheit stünde an oberster Stelle. Aber es geht auch heute ursächlich um Politik und Macht. Es geht um Geld und Profit. Es gibt Gründe dafür, dass unter solchen Voraussetzungen gestartete Programme immer wieder stecken bleiben und scheitern, und auch Gründe, weshalb die Muster dieses Scheiterns sich stetig wiederholen und in neuen Kontexten fortsetzen.
Keine andere Industrie hat es wie die Atomindustrie geschafft, ihre Probleme und die Kosten ihres Handelns derart wirksam in die Zukunft zu verlagern. Nichtsdestotrotz wirken sich gerade die unabsehbaren Kostenfolgen des nuklearen Abenteuers stabilisierend auf den Irrweg der Atomenergie aus. Denn keine der verantwortlichen Institutionen – vom Bundesrat über die zuständigen Administrationen und die Aufsichtsbehörden bis hin zu den Aktionärs-Kantonen und -Gemeinden – wird es wagen, substanziell in die bestehenden Strukturen und laufenden Prozesse einzugreifen. Sie alle waren an Aufkommen, Entwicklung und Förderung der Atomenergie beteiligt.
Über Jahrzehnte haben sie alle möglichen Massnahmen ergriffen, damit das atomare Projekt Schweiz ohne allzu grosse Probleme vorwärts kam. Förderungsgelder für die Wissenschaft flossen in Mengen. Der Staat finanzierte über die Kantone und Gemeinden die Betreiber der Werke. Die politische Unterstützung der atomaren Programme durch die staatstragenden politischen Kreise und Parteien war stets gewährleistet. Die Entscheide der Atomwirtschaft wurden über Jahrzehnte durch eine breite Allianz von staatlichen Institutionen getragen. Deshalb fällt es den verantwortlichen Institutionen und ihren Vertretern so schwer, sich von den bislang vertretenen Positionen zu verabschieden und mit dem eingeschlagenen Weg zu brechen. Mut- und visionslos warten sie die Entwicklungen ab in der Hoffnung, die absehbaren finanziellen und politischen Probleme würden sich schon noch lösen lassen: durch die Verlängerung von Laufzeiten und den Weiterbetrieb eines überalterten Kraftwerkparks.
Durch den Schutz der AKW -Betreiber vor neuen Auflagen und vor Forderungen nach teuren Investitionen. Durch die entsprechende Anpassung und die Schwächung von gesetzlichen Vorgaben. Durch das sture Festhalten an laufenden Entsorgungsstrategien und der Weigerung, relevante Problemstellungen zu Strukturreformen oder zur Überprüfung der Projektfortschritte aufzunehmen und zu untersuchen. Durch die Verlängerung der Bewilligungen der Zwischenlager. Durch das Zuwarten bei Entscheidungen und das Hinauszögern von Korrekturen. Vor allem aber: durch ein Festhalten an längst überholten Strukturen und Aufgabenteilungen. Denn mit dem vom Verursacherprinzip abgeleiteten Modell, wonach die entsorgungspflichtige Stromwirtschaft die Führungsrolle bei der Planung und Umsetzung dieses jahrtausendlang währenden Problems beansprucht, wird sich keine Akzeptanz bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle gewinnen lassen.»
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